December 2024
The Freeride Dial – Up to Eleven!
Vor über 15 Jahren begannen die Wochenenden für mich meist mit einem Klang, den nur noch wenige kennen. Das Piepsen des Modems tönte durch das Arbeitszimmer meiner Eltern und die Internetverbindung wurde aufgebaut. Wenige Klicks später war Pinkbike im Browser geöffnet, um die neusten Videos der Freeride-Welt mit einer bahnbrechenden Geschwindigkeit von 64 Kilobit pro Sekunde herunterzuladen. Spätestens nach dem Frühstück war es dann endlich soweit und eine vollständige Folge „Drop In“ hatte geladen. Mit offenem Mund konnte ich meinen Augen kaum glauben und bewunderte die Trails und kreativen Bauwerke, die es offensichtlich nur an einem Ort dieser Welt gibt, KANADA!
Mit dem Ende meines ausgedehnten Studiums und dem Eintritt in die Berufswelt ändert sich meine Prioritäten schlagartig. Die Motivation sich mit den besten Enduro-Fahrern der Welt zu messen, trat in den Hintergrund und wurde immer unwichtiger. Der reine Spaß am Radfahren wurde mir sehr wichtig. Wenige Kurven oder ein Run auf Werksboden gaben mir mehr als tagelanges Training oder lange Rennwochenenden. Die Träume eines erfolgreichen Rennfahrers wurden immer blasser und das Verlangen einen längsüberfälligen Wunsch zu erfüllen traten aus dem Schatten. Die jahrelange Frage der Finanzierung stellte sich durch den Berufseintritt und die damit begrenzte Freizeit nicht mehr. Urlaub einreichen, Flüge buchen, Unterkunft checken und ab die Post, so einfach und doch mit erstaunlichen Hemmungen verbunden.
Die sechs Monate zwischen Buchung und Abflug vergingen wie ein Wimpernschlag. Alle guten Vorsätze der Vorbereitung waren durch meine reine Suche nach Spaß bereits von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Mein Madonna wurde zwei Wochen vor Abflug fertig, meine damalige Stärke, die Fitness, war gefühlt auf einem persönlichen Tiefpunkt, objektiv also ein absolutes Chaos für einen ehemaligen strukturierten Rennfahrer. Die Vorfreude und Motivation bei der Ankunft am Flughafen in Vancouver waren jedoch grenzenlos. „Weniger ist Mehr“ war das naive Motto bei der Reiseplanung. Vierzehn Tage in Whistler mit Tagesausflügen nach Squamish, gefolgt von sieben Tagen an der Sunshine Coast, überschaubar bei dem nahezu unendlichen Angebot in den Kanadischen Wäldern.
Nach einem doch sehr langen Anreise Tag waren wir alle zufrieden endlich in der ersten Unterkunft angekommen zu sein. Unsere Erwartung todesmüde ins Bett zu fallen, wurde durch den erheblichen Jetlag jedoch vereitelt und somit wurden die Bikes spät in die Nacht noch aus den Kartons gezogen und zusammengeschraubt. Nur der Blick in den Wetterbericht konnte unsere Vorfreude auf die ersten Tage etwas einbremsen.
Am nächsten Morgen zogen dichte Nebelschwaden durch das Tal und das Thermometer zeigte nur einstellige Werte an, alles andere als die Erwartung von einem Sommerurlaub. Das Bild von den Baumspitzen, welche aus den Nebelwänden hinaus stachen und die Ungewissheit, was sich dahinter in der grauen Suppe befinden könnte, erinnerte mich an alte Film-Segmente. Nach kurzer Abstimmung mit den anderen, dauerte es nicht lange und wir waren zu zweit auf dem Weg zum ersten Trail.
Der erste Trail brachte sehr unterschiedliche Gefühle mit sich, einerseits Respekt vor dem fahrerischen Anspruch und andererseits große Freude sich endlich einen jahrelangen Traum zu erfüllen. Der spätere Verlauf des Urlaubs zeigte jedoch, dass der Respekt vor dem Schwierigkeitsgrad der Trails nicht in Angst enden sollte. Das Einschätzen der eigenen Fähigkeit sollte die Basis für eine Entscheidung sein und nicht ein Schild, welches die Schwierigkeit angibt. Der größte Spaß entsteht, wenn das vermeintlich Unkontrollierbare kontrollierbar bleibt.
Das unerbittliche Verlangen nach dem maximalen Abenteuer und der Angst den besten Trail der bereits reduzierten Riding-Locations nicht zu fahren, lies mich und die anderen im Urlaub nicht mehr los. A-Line! Dirt Merchant! D1! Ride don’t slide! Secrets! Immer auf der Suche nach dem noch besseren, noch flowigeren, einfach nach den perfekten Trails aus den Videos, welche uns auf die andere Seite der Welt gelockt hatten. Die Ansprüche waren hoch, zudem waren die Vorlieben in unserer Reisegruppe durchaus unterschiedlich, aber wir waren uns abends immer einig, wir sind auf unserer Suche nach dem perfekten Trail am Tagesende nicht fündig geworden.
Von den zehn geplanten Tagen im Bikepark Whistler nutzen wir nur acht. Unsere verzweifelte Mission, den besten Trail zu finden, brachte uns dazu, endlose Uphill-Trails zu fahren, Skipisten hochzuschieben und die Bikes durchs Unterholz zu wuchten. Mit jedem Tag wurde die Suche mühsamer und nach zwei Wochen in Whistler, waren uns die Anstrengungen der letzten Tage ins Gesicht geschrieben. Es hieß Sachen packen, denn der Umzug an die Sunshine Coast stand an.
Mit Mühe und Not schafften wir es grade so alle unsere Bikes und das restliche Gepäck auf dem Truck zu verstauen. An der Fähre in Vancouver angekommen, begutachtete ein kritischer Blick des Fährenpersonals unser Kunstwerk auf der Ladefläche. Die maximale Ladehöhe wurde bis auf wenige Millimeter ausgenutzt. Ein kurzes Nicken des prüfenden Personals gewährte uns jedoch die Zufahrt auf die Fähre.
Unsere Ferienwohnung an der Sunshine Coast war in Roberts Creek und somit im Epizentrum der Kanadischen Freeride Szene, dies gab uns Hoffnung endlich unser Verlangen nach den besten Trails des Planeten zu stillen. Nach dem ersten Tag war uns allen jedoch bewusst, Geschenkt gibt es nichts! Der höchste Punkt des Berges war nicht mit dem Auto zu erreichen, sondern nur über eine steile Schotterstraße. Um die Kräfte zu schonen und die Anzahl der Versuche zu maximieren, entschieden wir uns diesen Abschnitt des Uphills nicht zu fahren, sondern zu schieben. Es folgte ein Trail nach dem anderen und am Ende des Tages hatten wir die unwegsame Schotterstraße fünf Mal überwunden und knapp 1000 Höhenmeter geschoben. Das war harte Arbeit, für einen Urlaubstag.
Bis zum letzten Tag gaben wir die Suche nicht auf. Jumplines, Skinnies, frischer Boden - alles gefahren, aber war es die Mühen wert? Diese Frage plagte mich auf dem Rückflug und in den ersten Wochen nach dem Urlaub.
Nur mit Widerwillen warf ich einen Blick auf die gesammelten GoPro-Aufnahmen und die Bilder des Fotoshootings. Ich konnte meinen Augen nicht glauben! Sind dies die Trails die wir gefahren sind? Stopp, ich spulte zurück! Loam der gegen die Linse der GoPro prasselt. Ist das zu glauben? Wir sind die besten Trails gefahren, ohne es zu merken. Jetzt wurde mir klar, dass sich jeder Aufwand gelohnt hat.
Würde ich etwas anders machen, wenn ich nochmal die Möglichkeit bekomme nach Kanada zu fliegen? Nur eins, die Absicht den besten Trail zu finden hinter mir zu lassen und jede Sekunde auf dem Trail in vollen Zügen zu genießen und den Freeride Regler auf 11 zu drehen.
Text: Chris Derkum
Fotos: Rob Perry